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Waiblinger KreiszeitungTrauer, Angst und Empörung in Frankreich sind groß. Aber da ist auch das beruhigende Gefühl anteilnehmender Solidarität weltweit, das bei unseren Freunden jenseits des Rheins den Schock nach dem Terrorangriff auf „Charlie Hebdo“ ein klein wenig linderte. Die Franzosen sind angesichts dessen, was sich seit Tagen vor ihren Augen abspielte und nun mit dem Showdown im Departement Seine-et-Marne und an der Porte de Vincennes in Paris den Höhepunkt erreichte, wie gelähmt vor Entsetzen. Die Waiblinger Kreiszeitung hatte schon gleich am Mittwochabend in Brandmails an die Rathäuser und Partnerschaftskomitees in Frankreich ihre Solidarität mit den trauernden Freunden bekundet. Es ging uns nicht nur darum, zu trösten.

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Foto: ZVW

Es geht in Zeiten, in denen bis an die Zähne bewaffnete Djihadisten eine Gesellschaft in Angst und Schrecken versetzen, ums Zusammenstehen. Auf dem Spiel stehen die Werte, die Deutsche und Franzosen in ihren Partnerschaftsbanden seit Jahrzehnten verbinden. So schickten uns Bürgermeister von jenseits des Rheins postwendend Dankesgrüße. „Es freut uns, unsere deutschen Freunde an unserer Seite zu sehen“, schrieb Vincent Bourget, der Bürgermeister der Rommelshausener Partnerstadt St. Rambert d’Albon südlich von Lyon im Rhônetal.

Christian Croizard: „Es lebe die Freundschaft unter den Völkern“

Es ist ein trotziges Nein, das die Bürger Frankreichs zusammenschmiedet. Und es ist ein ostentatives Sichbekennen zu den Werten und Spielregeln der laizistischen Republik. In der kleinen Stettener Partnergemeinde St. Pierre d’Albigny (Savoyen) und in Mansle (Charente), das seit 25 Jahren mit der Gemeinde Korb verschwistert ist, hielten am Donnerstagmittag um zwölf Uhr zahlreiche Bürger mit dem Schild „Je suis Charlie“ in der Hand vor ihren Rathäusern schweigend Mahnwachen. Bewegende Bilder waren zu sehen. Wie in ganz Frankreich übrigens. Staatspräsident François Hollande hatte nach dem Terroranschlag auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ in Paris einen nationalen Trauertag ausgerufen.

Christian Croizard, Mansles Bürgermeister, meldete sich gestern in einer Antwortmail mit einem „Grand Merci!“ Es sei tröstlich, dass der Beistand der deutschen Freunde den Schwung, den die nationale Solidarisierung in Frankreich jetzt nehme, um eine weitere Facette ergänze. Christian Croizard setzt auf die Internationale der Demokraten: „Es lebe die Freundschaft unter den Völkern“, schreibt er. In Frankreich üben sich Juden, Christen, Muslime und die bis ins Mark zerstrittenen politischen Parteien von links und rechts – jenseits der rechtsextremen Front National, die aus der Tragödie in Paris politisches Kapital zu ziehen sucht – derweil im Schulterschluss.

In der kleinen Weinbaugemeinde St. Pierre d’Albigny im Isère-Tal hatten sich am Donnerstag rund 50 Bürger, Gemeinderäte und Rathausmitarbeiter zusammen mit Bürgermeister Michel Bouvier und seinem Amtsvorgänger Jean-Michel Borgel zu einer Schweigeminute vor dem Rathaus versammelt. Auch sie hielten Schilder hoch.

Und die Reaktionen meiner französischen Freunde in Chambery, Marseille und Nizza zeigen, wie stark das Bedürfnis nach Zusammenstehen in Stunden der Not ist. Gestern Mittag erreichte mich die Mail von Fedora, einer jungen Lehrerin in Nizza. Ihr Anliegen: den unerschrockenen Presseleuten Rückendeckung geben, die den Radikalen aller Couleur im Kampf um die Meinungsfreiheit Paroli bieten. „Ich bin erschüttert von diesem abscheulichen Vorfall. Ich finde, wir müssen tatsächlich Journalisten alle unsere Unterstützung geben, die auf bemerkenswerte Weise ihre Arbeit in einer immer brutaleren und intoleranteren Welt machen.“

Mein Freund Jacques, Rentner aus Chambery, der Jahrzehnte als Hotelchef in Ländern des frankofonen Westafrika gearbeitet hat, versprach mir am Mittwochabend unter dem Eindruck des mörderischen Attentats umgehend: „Ich werde, aus Solidarität, Charlie Hebdo abonnieren. Ehrlich gesagt habe ich das Blatt fast noch nie gelesen. Und ich erkläre hiermit, dass ich meinen Benutzernamen in den sozialen Netzwerken ändern werde. Künftig heiße ich ,Je suis Charlie’.“

Natacha fürchtet, dass der Rassismus noch zunehmen wird

Natacha, eine Freundin aus Marseille, ist skeptisch. Sie habe das Gefühl, „dass wir in die finstersten Stunden des Obskurantismus zurückfallen“. Sie empfinde das Attentat gegen Charlie Hebdo nicht nur als einen Anschlag auf die Pressefreiheit, sondern auf die Demokratie als solche, auch wenn natürlich jeder Franzose seine eigene Meinung zu Cabu, Charb, Honoré, Tignous und Wolinksi, den legendären Karikaturisten von „Charlie Hebdo“ mit ihrem unbestreitbaren nationalen Renommee und ihren kreativen Mitarbeitern, gehabt habe. Vor allem fürchtet Natacha, dass jenseits der jetzt überall spürbaren nationalen Solidarität gegen die islamistischen Mörder von Paris „dieser barbarische Akt die Abschottung der Religionsgemeinschaften gegeneinander und den Rassismus, der in unserem Land schon jetzt herrscht, noch anheizen wird.“

Charlie Hebdo, das witzige, couragierte, vor keinem noch so großen klerikalen Tabu zurückschreckende Satireblatt ist eine von ihren Anhängern innig geliebte Institution in Frankreich. Sie prägte Generationen. Die 38-jährige Crystelle aus Marseille ist mit den Zeichnern Cabu und Wolinski, die am Mittwoch kaltblütig erschossen wurden, aufgewachsen. „Alle Personen meines Alters haben zunächst Cabu in einer Kindersendung kennengelernt, die ich jeden Mittwoch sah, wie, so nehme ich an, der Großteil der Kinder meines Alters damals. Er zeichnete schon im Fernsehen Karikaturen – Kinderversionen natürlich. Und als ich das Alter für die Erwachsenencomics erreicht hatte, las ich einige Bände von Wolinski. Und ich hatte sogar eine Periode „Charlie Hebdo“. Die unbezwingbare Liebe zu diesem Kultblatt steigert den Schmerz.

Auch Crystelle ist überrascht über das enorme internationale Echo auf diesen infamen Terrorakt. Obwohl das ja eigentlich logisch sei, wenn die Pressefreiheit attackiert würde, sagt sie nachdenklich. „Gestern“, berichtete sie am Donnerstagmorgen, „erzählte ich von dem Vorfall per E-Mail einer amerikanischen Freundin, und ich sagte ihr: Ich weiß nicht, ob die Neuigkeit bei euch in den USA schon angekommen ist. Aber tatsächlich hatte sie von dem Terroranschlag vielleicht schon vor mir erfahren.“ Sehr wahrscheinlich. Nicht nur in Paris, Marseille und Toulouse, wo der Anschlag die Wunde der vor zwei Jahren von Mohamed Merah verübten Morde aufreißt, auch in Berlin, London und New York wurde demonstriert. Wir stehen zusammen.

Quelle: ZVW, vom 10.01.2015 00:00 Uhr

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