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Während in Frankreich der Kampf ums Präsidentenamt tobt, ist es in der Kernener Partnergemeinde noch völlig ruhig

von unserem Redaktionsmitglied Hans-Joachim Schechinger

St. Pierre d’Albigny. Der französische Präsidentschaftswahlkampf wird immer hitziger. Am Montag veröffentlicht der Verfassungsrat die Liste der zugelassenen Kandidaten, am 22. April ist erster Wahlgang. Wie erlebt die französische Provinz die Wahlschlacht? „Bei uns ist es sehr ruhig“, sagt Christian Milandre aus St. Pierre d’Albigny. Er prophezeit: „Die Weingärtner werden rechts wählen.“

Am Tag, an dem die erhofften Menschenmassen die EXPO Kernen stürmen werden, wollen in Frankreich die Bürger massenhaft wählen gehen. Wie das Votum in St. Pierre d’Albigny, der savoyardischen Partnergemeinde von Kernen, ausfallen wird, ist aber schwer vorauszusagen. Falls kein Bewerber die absolute Mehrheit erringt, wofür die Wahlprognosen sprechen, entscheiden die Franzosen am 22. April wenigstens, wer sich für den zweiten Durchgang am 6. Mai qualifiziert. Kommenden Montag veröffentlicht der französische Verfassungsrat die Namen der Kandidaten, die das Quorum von 500 Bürgermeister-Unterschriften erreicht haben. Wer diese Hürde nimmt, ist zur Wahl zugelassen.

Wie Insider vor Ort berichten, kämpft André Col schon seit geraumer Zeit mit Kritik und Misstrauen in Gemeinderat und Verwaltung. Col gilt als Chef, der alles steuern, alles kontrollieren, nichts delegieren will, und seinen Mitarbeitern wenig Kredit einräumt. Vor zwei Jahren reichte in diesem angespannten Klima der Chef der kommunalen Dienstleistungen seinen Abschied ein. Seine Nachfolgerin riss, wie unser Korrespondent vor Ort, Christian Milandre, berichtet, mit Wissen und Duldung des Bürgermeisters rasch fremde Verwaltungsaufgaben an sich und verprellte so Mitarbeiter im Rathaus. Dies alles unter stillschweigender Duldung der sechsköpfigen Oppositionsfraktion im Gemeinderat, die, wie es Milandre ausdrückt, „am Anfang in einer vollständigen Symbiose mit dem Rest der Mannschaft arbeitete“. Es schien fast so, als billige sie den autoritären, unkooperativen Stil des Bürgermeisters.

Die Favoriten der großen Parteien in Frankreich haben längst genügend Paten zusammen. Kandidaten wie der Globalisierungkritiker José Bové indes müssen zittern, der Landwirt bringt es zurzeit auf 472 „signatures“. Wie zu hören ist, soll auch André Col, Rathauschef in St. Pierre d’Albigny, von Präsidentschaftsbewerbern um Unterstützung gebeten worden sein. Wie der Bürgermeister darauf reagiert hat, bleibt im Dunkeln. Er wolle seine Haltung nicht öffentlich machen, wie unser Korrespondent Christian Milandre, Mitarbeiter von „Le Dauphiné liberé“, mitteilte.

„Bei uns in der Gemeinde ist es sehr ruhig“, sagt Milandre. Der Wahlkampf beherrscht zwar die Medien, aber er bestimmt noch nicht das Straßenbild, denn in Frankreich darf erst 14 Tage vor dem Wahlgang plakatiert werden. Der Journalist Milandre, der sich dem sozialistischen Lager zurechnet, erwartet, dass St. Pierre wieder rechts wählen wird: „In den Kellern der Weingärtner hört man, sie wollten in der ersten Runde Le Pen wählen, in der zweiten Sarkosy. Sie wählen sowieso traditionell rechts, wie übrigens auch die Katholiken.“

Bei den Parlamentswahlen im Juni 2002 erzielte im Wahlkreis der Kernener Partnergemeinde Hervé Gaymard, der für die Chiracisten der UMP antrat, auf Anhieb 50,92 Prozent. „Chirac bleibt der Liebling der Landwirte im Allgemeinen“, weiß Milandre. Schließlich verkämpfte sich der frühere Landwirtschaftsminister Jacques Chirac in den 70ern wie ein Löwe für die Interessen seiner „agriculteurs“ auf dem gemeinsamen europäischen Markt. „Da sich Chirac nicht mehr zur Wahl stellt und die Bauern Sarkosy nicht so recht über den Weg trauen, fürchte ich, dass sie sich Le Pen zuwenden.“ Auch in der Weinbaugemeinde höre man in letzter Zeit häufig den Satz: „Es gibt bei uns in Frankreich zu viele Emigranten und zu viel Soziales.“

Das Drama der Sozialisten bei den Präsidentschaftswahlen vor fünf Jahren entzündete sich am Erfolg des Rechtsextremen Le Pen (Front Nationale), der den damaligen Premier Lionel Jospin (PS) im ersten Wahlgang aus dem Rennen warf. „Wir mussten im zweiten Wahlgang rechts und für Chirac wählen, um Le Pen zu blockieren“, erzählt Milandre. „Umgekehrt hat sich Chirac dann aber nicht gerade dankbar gegenüber der sozialistischen Familie gezeigt.“

Wie wird der Urnengang am 22. April ausgehen? Der Abstand in den Wahlprognosen zwischen den großen Favoriten Sélog‘ene Royal (PS), Nicolas Sarkozy (UMP) und Francois Bayrou (UDF) schmilzt von Umfrage zu Umfrage. Bayrou, der die traditionell verfeindeten Lager der französischen Linken und Rechten in ein Boot holen will, hat mit den Protagonisten Royal und Sarkozy schon fast gleichgezogen. Seine Wahlveranstaltungen sind Pop-Events, die Massen anziehen.

Der Beobachter Christian Milandre bestätigt, was gestern auch die französische Tageszeitung „Le Monde“ vermeldete, dass zurzeit nämlich 65 Prozent der Franzosen für eine „Regierung der Union, die die unterschiedlichen politischen Parteien für ein gemeinsames Projekt zusammenschmiedet“, plädieren. Wieder eine „Cohabitation“? Auch Milandre hält die tiefe Spaltung zwischen links und rechts in Frankreich für überholt. „Die Leute haben genug davon zu sehen, dass, wenn die Linke am Ruder ist, sie ihre Macht dafür benutzt, alles wieder einzustampfen, was die Rechte zuvor geschaffen hat – und umgekehrt.“

Quelle:
Waiblinger – Kreiszeitung vom 17.03.2007
Text: Hans-Joachim Schechinger

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